Die Ehe im Früh- und Hochmittelalter

Die Ehe im Früh- und Hochmittelalter

Organisatoren
Georg Strack, Institut für Mittelalterliche Geschichte, Philipps-Universität Marburg; Magdalena-Maria Berkes, Regesta Imperii, Institut für Mittelalterliche Geschichte, Philipps-Universität Marburg
Ort
Marburg
Land
Deutschland
Fand statt
In Präsenz
Vom - Bis
29.09.2022 - 30.09.2022
Von
Magdalena-Maria Berkes, Institut für Mittelalterliche Geschichte, Philipps-Universität Marburg

Das Konzept der Ehe wird gerade im Mittelalter romantisiert und emotionalisiert, dabei hat sich unser Bild von der Ehe im Früh- und Hochmittelalter in den letzten 15 bis 20 Jahren wesentlich geändert. Daran knüpfte die Tagung an und stellte in drei Sektionen aktuelle Forschungsprojekte aus Deutschland und der Schweiz vor.

Die erste Sektion behandelte kirchenrechtliche Normen und synodale Beschlüsse zu Fragen des Eheverbots, Ehehindernisse sowie Unterschiede zwischen Klerikern und Laien. SABRINA VOGT (Zürich) eröffnete die Tagung mit einer Ausführung zu zentralen Aspekten der Ehe im gallischen und iberischen Synodalrecht des 6. Jahrhunderts. Ein Vergleich zwischen den gallischen und iberischen Kanones am Beispiel der ehelichen Enthaltsamkeit von Klerikern sollte aufzeigen, welche Bestimmungen im Fokus lagen und wie sich die synodalen Entscheidungen gegebenenfalls gegenseitig beeinflussten. Der Vergleich brachte die Erkenntnis, dass eine gegenseitige normative Beeinflussung relativ gering war und in Gallien sowie Iberien eherechtlich jeweils ganz eigene Akzente gesetzt wurden.

DOMINIK LEYENDECKER (Köln) erörterte das Unauflösbarkeitsprinzip am Beispiel der Unfreienehe. Er konnte vor dem Hintergrund der pippinischen Ehereformen aufzeigen, wie fränkische Anfragen an den apostolischen Stuhl und die Antworten des Papstes von den fränkischen Bischöfen und von König Pippin dem Jüngeren gehandhabt wurden. Zwischen 751 und 768 sind sieben Zusammenkünfte im Frankenreich nachweisbar, und in vieren behandelten die Bischöfe und der König eherechtliche Fragen. Aber nur in den Versammlungen von Verberie (756) und Compiègne (757) ging es um die Unauflösbarkeit der Ehe. Daraus leitete Leyendecker ab, dass sich das Prinzip der Unauflösbarkeit unter Pippin noch nicht durchgesetzt hatte, sich aber ab dem 9. Jahrhundert zunehmend etablieren konnte.

GEORG STRACK (Marburg) stellte die Rede Benedikts VIII. auf der Synode von Pavia 1022 vor, deren inhaltliche Grundlagen unter anderem auf den Beschlüssen des Konzils von Nizäa (325) basieren. Bei dieser Rede handelt es sich weniger um eine Predigt, sondern vielmehr um eine Beratungs- oder Gerichtsrede, deren Narratio das Problem höriger Priester beschreibt, die Ehen mit freien Frauen schließen. Anders als häufig angenommen wird, betreffen die Dekrete von Pavia nur diese Gruppe, nicht aber Priester von freier Herkunft, was die Bedeutung der Synode für die Durchsetzung des allgemeinen Klerikerzölibats etwas relativiert.

Im Anschluss erläuterte ELENA VANELLI (Kassel/Hamburg), Mitarbeiterin des Projektes „Burchards Dekret Digital“,1 verschiedene eherechtliche Aspekte innerhalb des Decretum Burchardi (1000–1025). Anhand des neunten Buches zeigte sie auf, dass Burchard das Prozedere der Eheschließung verfeinerte. So unterschied er zwischen Ehefrau und Konkubine und hielt fest, dass eine Ehe öffentlich geschlossen werden solle. Das Prinzip der Unauflösbarkeit der Ehe ist bereits festes Anliegen Burchards; es hat sich bis zum frühen 11. Jahrhundert durchgesetzt.

HORST LÖSSLEIN (Hamburg) fokussierte seinen Beitrag auf verschiedene eherechtliche Angelegenheiten innerhalb frühmittelalterlicher Formelsammlungen. Dabei handelt es sich um anonymisierte Mustertexte, die überwiegend bei der Ausbildung von Schreibern Verwendung fanden. Die Sammlungen dienten der stilistisch korrekten Formulierung von Dokumenten, dem inhaltlichen Aufbau und der Erläuterung des Rechtskontextes. Bezüglich eherechtlicher Angelegenheiten konnte Lößlein zeigen, dass diese Formelsammlungen u.a. Fragen zur Ausstattung der Braut (Dos), zu ehespezifischen Nachlässen und Scheidungen beinhalten konnten.

YANICK STRAUCH (Marburg) legte den Fokus auf das Gutachten Hinkmars von Reims zu einer Eheangelegenheit des Grafen Stephan von der Auvergne, der vor dem Jahr 860 eine namentlich nicht genannte Tochter eines Grafen Raimund geheiratet hatte, den jedoch Skrupel plagten, da es sich möglicherweise um eine inzestuöse Verbindung handelte. Der Beitrag diskutierte, inwiefern die Eheangelegenheit auch einen gesellschaftlichen Konflikt darstellte, den es friedlich zu lösen galt, wobei Hinkmar von Reims zudem ein persönliches Interesse an dem Fall hatte, da er mit den betreffenden Personen politisch verbunden und persönlich verwandt war.

VERENA EPP (Marburg) stellte zu Beginn der zweiten Sektion einige Fälle politischer Heiraten in der Spätantike und in der Merowingerzeit vor. Dabei ging es u.a. um die Frage, ob es Angehörigen des vandalischen und westgotischen Militäradels möglich war, über eine Vermählung mit weiblichen Mitgliedern der römischen Kaiserfamilien den Kaisertitel für sich und ihre Nachkommen zu sichern. Über Fragen der „echten“ oder „gemachten“ Verwandtschaft konnte weiterhin festgestellt werden, dass es keine Ehen zwischen der Militäraristokratie und den senatorischen Dynastien gegeben hat.

MAGDALENA-MARIA BERKES (Marburg) kehrte in die westfränkische Politik der 2. Hälfte des 9. Jahrhunderts zurück. Sie diskutierte am Beispiel der beiden Eheschließungen Ludwigs des Stammlers, wie gerade die Eheschließung des präsumtiven Thronfolgers als Mittel genutzt wurde, um bestimmte Gruppen oder Familien politisch enger an die Königsfamilie zu binden. Während die erste Ehe Ludwigs des Stammlers gegen den Willen des Vaters geschlossen wurde und im Zuge des Aufstandes Ludwigs gegen seinen Vater, Karl den Kahlen, stattfand, fanden die Scheidung und Neuheirat mit der zweiten Frau Ludwigs wohl auf Drängen des Vaters statt, um die zu dieser Zeit in Westfrankenreich einflussreiche Familie der sogenannten Adalharde an die königliche Politik zu binden.

Der Abendvortrag von GERHARD LUBICH (Bochum), in dessen Mittelpunkt die Frage „Wozu, wie und wen heiraten?“ stand, schlug eine Brücke zwischen den beiden Vortragstagen und den drei Sektionen. Ehebündnisse waren vergänglich, ebenso die Art und Weise, wie im Früh- und Hochmittelalter geheiratet wurde. Während die Karolinger so gut wie ausschließlich Fränkinnen mit Blick auf politische Bündnisse heirateten, zeigt sich schon bei den Ottonen, dass sie auch außerhalb ihres Wirkungsbereichs Ehen geschlossen haben, ohne gleichzeitig (wirksame) Bündnisse zu schließen. Gerade das 9. Jahrhundert präsentiert sich als Umbruchphase in der Entwicklung der Ehe und Ehelichkeit, da hier diverse Ausformungen und Versuche, Ehe zu leben, festzustellen sind, die ab dem 10. Jahrhundert feste und zunehmend bindende Formen angenommen haben.

In der dritten Sektion ging es neben kanonischen und politischen Fragen auch um Fragen der sozialen Praxis. Eröffnet wurde diese Sektion von VERONIKA UNGER (Erlangen), die anhand von Beispielen, die sie im Rahmen ihrer Arbeit an den Papstregesten der Karolingerzeit gesammelt hat, Ehen von Priestern, Bischöfen und Päpsten im 9. Jahrhundert diskutierte. Es konnten nur ein verheirateter Papst (Hadrian II.) und ein verheirateter Kleriker aus dem päpstlichen Umfeld ermittelt werden. Allerdings gab es mehrere Päpste, deren Väter Kleriker waren. Grundsätzlich war der römische Klerus in der Mehrheit nicht verheiratet. In den Quellen ist kaum etwas darüber zu finden, was mit den Frauen der Kleriker nach der Weihe der Männer geschah.

ALEXANDER MAUL (Marburg) stellte den Fall der Judith vor, der Tochter Karls des Kahlen, die karolingische Prinzessin, Königin von Wessex und am Ende die Stammmutter der sogenannten Balduine wurde. Mit gerade einmal 17 Jahren war Judith bereits zum dritten Mal verheiratet. Ihre ersten beiden Ehemänner, König Aethelwulf von Wessex und dessen Sohn Aethelbald, starben sehr schnell nach der Eheschließung. Brisant war vor allem die zweite Ehe Judiths, da sie ihren Stiefsohn ehelichte, was die Frage nach einer inzestuösen Eheschließung aufwarf. Nachdem auch dieser verstorben war, kehrte Judith ins Westfrankenreich zurück und lebte in Senlis, bis sie 862 in dritter Ehe Graf Balduin von Flandern heiratete.

ANDREAS KUCZERA (Gießen) stellte graphische Ehe- und Verwandtschaftsmodelle vor und präsentierte dabei Daten aus „genealogy.euweb.cz“2 und „neo4j“3. Nach wie vor steht die Geschichtswissenschaft vor der Herausforderung, wie mit fachbezogenen Ergebnissen im digitalen Raum umzugehen ist und welche Möglichkeiten es gibt, um den Nutzer:innen von Datenbanken die relevanten Informationen vollständig und fehlerfrei zugänglich zu machen. Ein Vorteil der vorgestellten Datenmodelle ist mit Blick auf genealogische Fragen die bessere Darstellungsform. Während klassische Stammbäume häufig verkürzt wiedergegeben werden müssen, erlaubt der digitale Raum eine angemessen differenzierte Darstellung der Ergebnisse.

MATTHIAS WEBER (Bochum) präsentierte auf Grundlage seiner Regestenarbeit eine neue Perspektive auf die Eheverhandlungen im Vorfeld der Heirat (1114) Heinrichs V. und Mathildes von England. Anhand der vorab intensiv geführten Verhandlungen zwischen Heinrich V. und Heinrich I. von England konnte der politische Allianzcharakter der Eheschließung festgestellt werden. So gab Heinrich I. dem salischen Kaiser als Mitgift für seine Tochter die hohe Summe von 10.000 Mark Silber, wobei die Eheschließung mit Mathilde von England sowohl für den römisch-deutschen Kaiser als auch für das englische Königshaus einen hohen Prestigegewinn darstellte. Zudem kann das Bündnis zwischen dem Salier und dem englischen König als Antwort auf das Bündnis zwischen der Kurie und dem französischen König gewertet werden.

VERA EITENEUER (Wuppertal) präsentierte die Praxis der Eheschließung am Beispiel der sogenannten Dienstehe und stellte die Ehe unter Hörigen sowie die Ehe Höriger mit Angehörigen des niederen Adels vor. Nach dem Versuch einer Definition von „Dienstleuten“ und deren sozialem Status diskutierte sie Gründe für eine Eheschließung zwischen Hörigen und niederem Adel und fragte, inwiefern diese als Dienstehen zu bezeichnen sind. Manche freien Frauen beispielsweise begaben sich durch die Ehe mit einem Hörigen bewusst in die Wachszinsigkeit, um keine Abgaben an einen Lehnsherrn entrichten zu müssen. Auch Witwen und ihre Kinder begaben sich in die Wachs- oder Altarzinsigkeit, um ihre Besitzansprüche gegenüber ihren Lehnsherren oder Verwandten zu sichern.

BENJAMIN TORN (Freiburg/Karlsruhe) erörterte abschließend das Mitspracherecht der Frau bei Eheschließungen im ausgehenden Hochmittelalter und stellte einige Fälle abgelehnter Ehen vor. Aus einer gewissermaßen umgekehrten Perspektive stand hier die Frage im Vordergrund, was es für Konsequenzen hatte, wenn Verhandlungen mit Aussicht auf eine Eheschließung schlussendlich doch nicht zu einer solchen führten. Als Beispiele führte er die nicht zustande gekommenen Ehen Isabellas von Frankreich mit Konrad IV. und der Stauferin Agnes mit dem König von Frankreich, Philipp II., an. Nicht nur die potentielle Braut selbst, sondern auch Akteure in ihrem Umfeld, beispielsweise die Mutter, konnten bewirken, dass eine potentielle Eheschließung doch nicht zustande kam.

Die Diskussionsrunden im Anschluss an die einzelnen Vorträge trugen zu einem produktiven und regen Austausch bei, der das rege Interesse an der Ehe-, Familien- und Geschlechterforschung noch einmal unterstrich und zu neuen Perspektiven anregte. In einem Schlusswort dankten Georg Strack und Magdalena-Maria Berkes den Referent:innen sowie allen Interessierten, sowohl digital zugeschaltet als auch vor Ort, für ihre aufschlussreichen Vorträge.

Konferenzübersicht:

Sektion I: Normen in Kirche und Welt

Moderation: Alderik Blom, Marco Krätschmer, Jasmin Hauck (alle Marburg)

Sabrina Vogt (Zürich): Von Arles nach Zaragoza. Aspekte der Ehe im gallischen und spanischen Synodalrecht des 6. Jahrhunderts

Dominik Leyendecker (Köln): Unfreie und Unauflösbarkeit der Ehe – Pragmatische Lösungsansätze im Frankenreich der 750er Jahre

Georg Strack (Marburg): „Wie wild gewordene Deckhengste stellen sie Frauen nach“ – Die Konzilsdekrete Papst Benedikts VIII. gegen verheiratete Priester

Elena Vanelli (Kassel): Zur Modellierung der Ehe im Decretum Burchardi. Aus der Perspektive der Textgenese

Horst Lößlein (Hamburg): Die Ehe im Spiegel der frühmittelalterlichen Formelsammlungen

Yanick Strauch (Marburg): Erzbischof Hinkmar von Reims und die Eh(r)e der Tochter des Grafen Raimunds (v. Toulouse?)

Sektion II: Ehe und Politik

Moderation: Melanie Panse-Buchwalter (Kassel), Georg Strack (Marburg)

Verena Epp (Marburg): Einheirat als politisches Instrument in Spätantike und Frühmittelalter

Magdalena-Maria Berkes (Marburg): Ein König in Bigamie? Ludwig der Stammler und seine erzwungenen (?) Eheschließungen

Abendvortrag

Gerhard Lubich (Bochum): Wozu, wie und wen heiraten? Heiratspolitik und Heiratsnormen im Früh- und Hochmittelalter als Problemgeschichte

Sektion III: Soziale Praxis

Moderation: Melanie Panse-Buchwalter (Kassel), Magdalena Berkes, Jasmin Hauck (beide Marburg)

Veronika Unger (Erlangen): „Valde reprehensibiles sint“? Das frühmittelalterliche Papsttum und die Ehe von Priestern, Bischöfen und Päpsten

Alexander Maul (Marburg): Judith von Franken – Königstochter, Stiefmutter, Entführte?

Andreas Kuczera (Gießen): Ehe- und Verwandtschaftsmodellierung im Graphen – Die Daten aus genealogy.euweb.cz in neo4j

Matthias Weber (Bochum): 10.000 Mark Silber und die Tochter des Königs – Heinrich V. und Mathilde von England

Vera Eiteneuer (Wuppertal): Freiheit in der Dienstehe? Rheinische Hörige und Freie schließen Ehen im Hochmittelalter

Benjamin Torn (Freiburg): „Eine Mitsprache der Frau?“ – Abgelehnte Ehen im ausgehenden Hochmittelalter

Anmerkungen:
1https://www.adwmainz.de/projekte/burchards-dekret-digital/informationen.html.
2http://genealogy.euweb.cz/.
3https://neo4j.com/.

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